Straßenkinder e.V. in Berlin: Streetworkstatt für obdachlose Kinder

Straßenkinder in Deutschland

Theoretisch dürfte es im Sozialstaat Deutschland keine Straßenkinder geben. Das soziale Netz ist engmaschig, bei Armut und bei Problemen in Schule und Elternhaus leisten Sozial- und Jugendhilfeeinrichtungen Unterstützung. Tatsächlich aber leben, je nach Definition und Quelle, bis zu 10.000 Minderjährige teilweise oder ganz auf der Straße, die Dunkelziffer nicht eingerechnet. Offizielle Statistiken gibt es nicht. Der Begriff Straßenkinder ist umstritten: Auf deutschen Straßen stößt man überwiegend auf Jugendliche ab 14 Jahren, die von zuhause oder aus einer Einrichtung weggelaufen sind. Längst nicht alle verbringen ihr Leben vollständig auf der Straße. Diese ist jedoch ihr Lebensmittelpunkt.

Die Gründe, die Jugendliche auf die Straße treiben, sind vielfältig. Anders als in Entwicklungsländern spielt materielle Armut als direkter Auslöser noch eine untergeordnete Rolle. Die meisten Jugendlichen flüchten aus instabilen Familienverhältnissen, vor Vernachlässigung, Verwahrlosung, Gewalt und Missbrauch – Zustände, die in allen Gesellschaftsschichten vorkommen, allerdings durch prekäre Arbeits- und Wohnverhältnisse befördert werden. Hilfsorganisationen wie der Berliner Verein Straßenkinder e.V. beobachten nicht ohne Grund einen zunehmenden Zusammenhang mit der steigenden Kinder- und Bildungsarmut. Aktuell sind in Deutschland 2,5 Millionen Kinder armutsgefährdet.

Leben auf der Straße

Anziehungspunkte für jugendliche Ausreißer sind insbesondere die Großstädte mit ihrer Anonymität und mit ihren leicht zugänglichen Bahnhofs- und Straßenszenen. Das gilt vor allem für Berlin: Jedes vierte Straßenkind lebt in der Bundeshauptstadt, je nach Jahreszeit sind das zwischen 2000 und 3000 Jugendliche. Die romantisierte große Freiheit entpuppt sich schnell als entbehrungsreiche Realität: Die Jugendlichen sind mit ganz akuten Fragen nach Nahrung, Kleidung und Schlafplatz konfrontiert. Viele sichern ihr Überleben mit Betteln, Diebstahl, Hehlerei oder Prostitution. Drogen- und Alkoholkonsum sowie Infektionskrankheiten sind weit verbreitet. Auch der ersehnte Zusammenhalt im Straßen-Milieu entpuppt sich nicht selten als Illusion, stattdessen erleben die Jugendlichen Konkurrenz, Hierarchien und Ausbeutung. Das alles hat nicht nur körperliche Auswirkungen. Je länger das Leben auf der Straße dauert, desto schwieriger ist es für die Jugendlichen, in einen Alltag mit Berufsausbildung, Job und Wohnung zurückzufinden. Viele wollen und können sich ein geregeltes Leben gar nicht mehr vorstellen.

Der Berliner Verein Straßenkinder e.V.

Der 2000 von Eckhart Baumann gegründete Verein Straßenkinder e.V. kümmert sich mit zehn Angestellten um obdachlose und von Obdachlosigkeit bedrohte Kinder und Jugendliche in Berlin. Bauman, der seinen ursprünglichen Beruf für den Verein aufgegeben hat, wurde 2010 für sein Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Die Vereinsarbeit besteht zum einen aus klassischer Streetwork-Tätigkeit: Die Mitglieder unterstützen die Jugendlichen mit Nahrungs- und Kleiderausgabe, bemühen sich, Vertrauen herzustellen und darauf aufbauend Hilfestellung auf dem Weg zurück in die Gesellschaft zu leisten: durch Reintegrations-Freizeiten, durch Vermittlung von Wohngruppenplätzen, durch Begleitung und Hilfe bei Amtsgängen, Wohnungs- und Ausbildungsplatzsuche, durch Vermittlung zwischen Eltern, Jugendamt und Polizei.

Kinder- und Jugendhaus Bolle: Sinnvolle Freizeitbeschäftigung statt Straßendasein

Darüber hinaus leistet der Verein in seinem 2010 im Bezirk Marzahn gegründeten Kinder- und Jugendhaus Bolle Präventionsarbeit, damit Kinder erst gar nicht auf der Straße landen. In Marzahn ist die Zahl der Alleinerziehenden, Arbeitslosen und Hartz-IV-Empfänger besonders hoch, 70 Prozent aller Kinder sind von Sozialleistungen abhängig. "Bolle" bietet Kindern nach der Schule mit Freizeit- und Bildungsangeboten eine Alternative zu Fernseher oder Computer, zu Straße oder Drogen. Rund 100 Kinder und Jugendliche täglich nehmen hier kostenlose Angebote wie Nachhilfe und Hausaufgabenbetreuung, Spiel-, Sport- und Musiziermöglichkeiten, aber auch Sozial- und Rechtsberatung wahr. Zum symbolischen Beitrag von 30 Cent gibt es dazu ein warmes Mittagessen.

Berufsvorbereitung in der Streetworkstatt

In der 2011 eingerichteten Streetworkstatt erproben die Kinder bei Fahrradreparaturen, Holz- und Metallarbeiten ihre Begabungen für handwerkliche Berufe. Die Kinder sind nicht weniger begabt als ihre Altersgenossen, ihnen fehlen lediglich handwerkliches Wissen und entsprechende Entfaltungsmöglichkeiten. In der Werkstatt lernen sie unter fachkundiger Anleitung den Umgang mit verschiedenen Materialien, schulen ihre Grob- und Feinmotorik, erhalten Einblicke in handwerkliche Berufe und Informationen zu deren Zugangsvoraussetzungen. Die Anzahl der betreuten Kinder steigt, und damit auch der Personalbedarf des Vereins.

ALTERNAID finanziert für den Zeitraum von zwei Jahren die Planstelle eines/r Sozialarbeiters/in.

Zur Website der Straßenkinder e.V.